Eine Laufzeitverlängerung alter und unsicherer Atomkraftwerke verhindert
einen raschen weiteren Ausbau moderner, umweltfreundlicher und zukunftsfhiger
erneuerbarer Energien. Aber nicht nur das, wir hinterlassen unserer Nachwelt
außer einer Unmenge hoch radioaktiven Mülls auch die Problematik, diesen
zu entsorgen und darauf eine Million Jahre aufzupassen.
Wir drucken daher hier einen Brief an die Bundeskanzlerin Merkel im Originaltext
ab, den wir wegen der besseren (Online-)Lesbarkeit lediglich etwas neu gegliedert
bzw. durch Absätze aufgelockert haben. Der Inhalt selbst wurde unverändert
übernommen.
Brief von Gerhard Loettel, Dr.Ing. Pfarrer em an Bundeskanzlerin
Merkel (15.09.2010)
Bundeskanzleramt
Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin
Ground Zero der Atompolitik
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel!
Nein, Frau Merkel, diese sog. Entscheidung der Bundesregierung zur Laufzeit-verlängerung
ist keineswegs ein Meilenstein progressiver deutscher Energiepolitik, sondern
genau umgekehrt der größte anzunehmende Unfall (GAU) den je eine
deutsche Regierung in Sachen Energie sich hat zuschulden kommen lassen.
Was
kann passieren?
Bei dem Terroranschlag islamistischer Terroristen auf das
World Trade Centre kamen rund 3000 Menschen zu Tode oder zu Schaden. Das
ist viel, aber auch nicht das Letzte. Die Folgeschäden sind immens.
An das Ereignis schlossen und schließen sich Kriege (im Irak und in
Afghanistan) an mit unzähligen Toten und Verletzten (auch deutsche Soldaten
und Zivilisten) und mit einer Zuspitzung der Rivalitäten zwischen der
christlich-abendländischen und der islamischen Welt, was eine weitere
friedliche Entwicklung einer globalen Weltgemeinschaft nicht so bald erwarten
läßt.
Aber die Freigabe der alten morschen Atommeiler für
weitere 12 Jahre, in denen so unsäglich viel Unglück geschehen
kann (und eigentlich nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit geschehen müsste)
kann noch viel größeren Schaden anrichten, als es die Folgen des
Terroranschlages in New York waren.
Es ist einfach unvorstellbar, was an
Leiden und Todesfolgen (mit weit mehr als 3000 Toten) aus einem irgendwelchem
Versagen oder gewaltsamen Angriff hervorgehen kann. Ich möchte mir das
gar nicht weiter ausmalen, aber es schwebt wie ein Damoklesschwert unbewußt
(erkannt) über uns.
Darum spreche ich in Bezug auf die Laufzeitverlängerung
von der Ankündigung und dem Beginn des dritten Weltkrieges
gegen unsere Kinder und Kindeskinder. Zumindest möchte ich nicht schweigen und Ihnen
die Folgen Ihrer (Mit)Entscheidung vor Augen stellen. Sie können dann
später nicht sagen, Sie hätten das nicht gewußt.
Was also
spricht gegen Ihre Atompolitik und diese "Entscheidung"?
- Zunächst ist es ein Wortbruch.
Noch die große Koalition – der
Sie die Ehre hatten sogar als Bundeskanzlerin anzugehören – hat,
in Kontinuität deutscher Politik in Hinsicht auf weitreichende Entscheidungen
und Konsequenzen, das Gesetz über den Ausstieg aus der Kernenergiegewinnung
mitgetragen und weitergeführt. Und nun haben Sie, ebenfalls wieder
Mitglied der neuen schwarz-gelben Regierung und Bundeskanzlerin dieser
Regierung, diese Kontinuität deutscher Politik gebrochen und ein Gesetz
der vorherigen Regierung, das Sie ja selbst in der großen Koalition
mitgetragen haben, außer Kraft gesetzt.
Wenn das Schule macht,
dann wird in Deutschland nun jede Regierung die Gesetze ihrer Vorgängerregierung
aufheben und gegen-formulieren. Das würde ich mir allerdings sogar
für diese sog. Laufzeitverlängerung sehnlichst wünschen.
Sie haben also mit dieser Entscheidung sich selbst das Wort gebrochen,
das Sie in der Großen Koalition abgegeben haben. Damit zweifle ich
an Ihrer politischen Reputation, Sie haben einen Großteil meiner
Achtung für Ihre Politik verloren. Ich bin jetzt nicht mehr stolz
einmal mit Ihnen im DA gewesen zu sein.
- Zum anderen bedeutet diese "Entscheidung" einen Verlust
der Vorreiterrolle Deutschlands in bezug auf den Umstieg der
Energiebereitstellung von fossilen auf erneuerbare Energien und damit
ein Verlust der Führungsrolle
in Sachen Anbeginn einer globalen, nachhaltigen, solaren Zivilisationsentwicklung.
Sie schaden damit nicht nur der Entwicklung einer nachhaltig-friedlichen
und demokratisch-gerechten Weltzivilisation, Sie schaden damit sogar dem
Aufbau einer nachhaltigen zukunftsfreundlichen Entwicklung der deutschen
Wirtschaft. Denn nach "unternehmernahen Wirtschaftsforschern wird
die Zukunft weniger auf industrielle [und hochenergetische, sowie zentrale]
Großtechnologien wie Kohle und Atom, sondern auf flexibel und dezentral
einsetzbaren Umwelt- und Energietechniken beruhen.
Laut der Unternehmensberatung Roland
Berger wird der Weltmarkt für erneuerbare Energien bis
2020 von 150 Milliarden Euro 2009 auf 2000[!] Milliarden Euro anwachsen."(1) Sie
beschreiten damit nicht nur einen ökologiefeindlichen,
sondern auch wirtschaftsfeindlichen Weg. Und das als Physikerin.
(1) Zitat aus Publik-Forum, W. Kessler: Merkel wie einst Bush,
PF, 10.09.2010, S.11
- Sie fördern die Ungleichheit im Lande.
Wollen Sie das auch?
Es bedarf
doch keiner großen mathematischen Begabung, daß dieser sog.
Atomkom-promiss ein Nullsummenspiel ist und wie bei jedem
solchen Spiel, können die Gewinner nur Gewinner sein, auf Kosten von
ebensoviel Verlierern.
Die Milliardengewinne der großen 4 Energiekonzerne und ihrer Aktionäre
werden bezahlt werden müssen von den Verlusten von Kleinaktionären,
von Verlusten bei den kommunalen Kraftwerken, durch eine Kostensteigerung
beim Verbraucher für Energie und Lebenshaltung und nicht
zuletzt durch die Verzögerung der Entwicklung nachhaltiger
Energiebereitstellung (u.a. durch Subventionsverluste und
den dann eintretenden Elektroenergieüberschuss aus
der Atomwirtschaft gegenüber der nachhaltigen Energieentwicklung,
weil ja dieser E-Anteil nach der geplanten Abschaltung, aber nun infolge
der Laufzeitverlängerung nicht vorgesehen war.
Aber dieses Nullsummenspiel
ist kein kostenloses Spiel, dieses Spiel kostet Deutschland den sozialen
Frieden. Sie spielen mit dem internen Frieden.
- Und damit lösen Sie
den dritten Weltkrieg gegen unsere Kindeskinder aus.
- Sie
wissen, daß jedes Kernkraftwerk Emissionen im Niedrigdosenbereich
abgibt.
Nur darum gibt es Schornsteine (aber auch Kühltürme,
die u.U. radioaktive Gase mit abgeben!) an KKW's, die die belastete Abluft
aus dem Betrieb abführen und in der Landschaft "verdünnen",
so daß sie im Grenzwertbereich bleibt.
Sie wissen aber auch, daß eingehaltene
Grenzwerte keine absoluten gesundheitlichen Ungefährleichkeitswerte
darstellen, sondern lediglich Toleranzwerte an prozentualen Krankheits-
oder letalen Werten, die die Gesellschaft, sprich aber die Regierung,
bereit ist zu tolerieren.
Heute ist die Gesellschaft aber eben nicht
mehr bereit, dies zu tolerieren.
Aber selbst diese Toleranzwerte bleiben
sich nicht gleich, sie kumulieren, reichern sich an. Jede noch so kleine
radioaktive Emission (als Partikel oder masselose Strahlung) wird in
der Biosphäre
gespeichert und reichert sich z.B. in der Nahrungskette bis zum Menschen
hin an. Wir täten also gut daran, so wenig wie möglich den
radioaktiven Grundpegel zu erhöhen, weil dann die Toleranzwerte überschritten
werden und so die Regenerationsfähigkeit der biologischen
Zelle (in den Genen) überfordert werden wird und damit die Zahl
der Verkrüppelungen,
der Fehlgeburten, der Krankheitsfälle und unwägbare biologische
Entwicklungen (Pandemien u.ä.) zunehmen wird.
- Sie wissen aus dem
Vorfall aus Tschernobyl, daß AKW's explodieren
können und dann auf Jahrzehnte eine Gefahrenquelle bilden. Wie jetzt
immer noch Tschernobyl!
So wie einst die Sowjets sagten, derartige Unfälle
könne es nur in den imperialistischen Staaten des Westens geben, sagen
heutige KKW-befürworter, so etwas konnte es nur in der rückständigen
Sowjetunion geben.
Beides sind aber nur Sprechblasen aufgeblasener Technologen,
wie das Erdölbohrunglück im Golf von Mexiko zeigt, wo ja doch
ein westliches Unternehmen wie BP es nicht vermochte, solch eine unfallträchtige
Technologiepanne zu verhindern.
- Sie wissen aber auch, daß KKW's durchaus
vor terroristischen Angriffen nicht zulangend geschützt werden können.
Der "Spaßvorschlag" der
baden-württembergischen Regierung diese KKW's einzunebeln zeigt
einerseits nur, daß man tatsächlich den Angriff in Form eines
Flugzeugabsturzes oder eines Bombardements auf das KKW in Betracht zieht,
aber sie zeugt außerdem von einer bedauernswerten Ignoranz und
dummen Fehleinschätzung.
Denn was nützte es dem KKW, wenn es weit sichtbar schon als Nebelfleck
kenntlich gemacht würde. (Das Leunawerk ist im 2. Weltkrieg trotz
Einnebelung wirkungsvoll bombardiert worden, dazu mein Elternhaus in
der Nähe des Werkes. Aber das ist ja im Vergleichsfalle einer KKW-Bombardierung
wohl nur ein bedauerlicher Kolateralschaden).
Die Vernebelung ist demnach
eher bloß eine Zielmarkierung und so nur die Vernebelung
der Wohlmeinung der Bevölkerung. Letztlich haben wir also mit den
KKW's selbst Atombomben im eigenen Land installiert und zur Zündung
freigegeben.
Wenn die Bombardierung eines KKW beschlossen sein sollte,
so wird sie realisiert werden können, auf Kosten der Gesundheit
und das Leben unserer Kinder und Kindeskinder.
- Kommt nun noch die
ungelöste aber höchst peinliche und supergefährliche
Frage nach der Endlagerung der ausgebrannten Brennstäbe (radioaktiver
Müll) ins Spiel.
Es gibt keine Stätten, wo dieser Müll gefahrlos
unterirdisch gelagert werden kann. Überall ist er in Gefahr, ausgegraben,
ausgewaschen, durch Bergbrüche, Erdrutsche, Erdbeben und Auswaschungen
in die Biosphäre einzutreten, aber demgegenüber müßte
dieser Müll 1 Million Jahre sicher von den Kreisläufen des Lebens
fern-gehalten werden.
1 Million Jahre das sind aber 33.333
Generationen!
Wir zählen bis zu den Sumerern und Hethitern ca. 4000 Jahre Kulturgeschichte
und nur etwa 2000 Jahre jüdisch-christliche Geschichte. Das sind aber
nur 66 bis 133 Generationen.
Man stelle sich also diesen Zeitraum vor.
In dieser gewaltigen Zeit ist die Bewegung der tektonischen Platten (zu
der die Auffaltung der Alpen gehört) bis heute noch nicht zur Ruhe
gekommen und beschert uns durch Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis
noch immer schier unlösbare Gefahren und große tödliche
Katastrophen. Wer angesichts dieser Tatbestände von sicheren Endlagern
in der Erde träumt ist entweder ein Traumtänzer par exellence
oder eben ein KKW-Technologe. Und das ist nur die eine Seite der Endlagerproblematik.
Die andere Seite ist die notwendige Forderung, daß dieser Müll
so sicher wie möglich versteckt werden muß, daß kein Unbefugter
ihn ausgraben kann, daß er aber andererseits auch so sicher wie möglich
dokumentiert werden muß, daß er jederzeit auch nicht versehentlich
ausgegraben wird (bei Bergbauarbeiten, Rohstofferschließungen usw.)
Aber wie steht es um diese über Generationen zu verbürgende Deklaration?
Schon heute können nur noch wenige Jugendliche die Ideogramme (z.B.
für Radioaktivität) sicher erkennen und deuten.
Doch selbst die
Aufzeichnungen und Dokumente Fachleute sind nach nur kurzer Zeit ungenau,
unsicher und falsch. Bei dem Paradebeispiel für die Unsicherheit von
Endlagern in Bergwerken, in Asse (das allmählich absäuft und
damit radioaktives Wasser in die Biosphäre freisetzt oder freisetzen
kann) wurden vor nur ca. 40 Jahren nur 1300 Fässer mit Atommüll
und zwar mittelradioaktiv deklariert. Inzwischen weiß man, daß dort
15.000 Fässer lagern. Wie radioaktiv deren Inhalt ist, weiß man
aber auch nicht, denn damals wurde nur die Strahlung auf der Außenhaut
der Betonummantelung gemessen und als schwachradioaktiv eingestuft. Schon
damals ein Deklarationsbetrug oder bloße nachlässige Unwissenheit?
Auch war bislang nicht bekannt, daß dieser Müll in verschiedenen
Lagerkammern auf verschiedenen Ebenen des Bergwerkes verteilt liegt.
Man
stelle sich das vor! In nur 40 Jahren seit der ersten Endlagerung in Asse,
weiß man erst jetzt neu (!), den wahren Sachverhal(2).
Nur 40 Jahre und die Deklaration ist ungewiß und falsch und nun soll
das über 1 Million Jahre sicher erfolgen? Das ist eine Zeit, in der
sich Sprachen ändern, Schriften und Schriftdokumentationen wechseln
(wie heute vom Schriftdruck über Speicherplatten, zu CD's u.ä.).
Man kann nicht garantieren, daß spätere Generationen unsere
Aufzeichnungen lesen und verstehen und danach gefahrabwendend werden handeln
können.
Aus all diesen Gründen spreche ich zu Ihnen vom 3. Weltkrieg,
den Sie gegen unsere Kindeskinder losgetreten haben werden, wenn Sie bei
der Verlängerung der Laufzeiten (mit 4400 Tonnen zusätzlichem
radioaktivem Müll) bleiben und nicht sofort alle KKW's abschalten
lassen
(2)
siehe Süddeutsche Zeitung vom 11.September 2010, S. 1 und 4
Gerhard Loettel, Dr.Ing. Pfarrer em. [www.oeko-loettel.de/]
Der Brief ist auch im PDF-Format verfügbar » Ground_Zero_der_Atompolitik.pdf (ca.
74 kB)
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16.09.2010
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